Lucinella divaricata

    Weißliche Mondmuschel - Divaricate Lucine - Lucine divergente - Dubbeltjesschelp

Vor einigen Jahren beschloss meine Mutter, dass winzige Herzmuscheln sich als Ohrringe gut machen würden. Sie kniete sich also im Schill, den die abfließende Flut hinterließ, nieder und hob dort eine kleine Muschel auf, die definitiv keine Herzmuschel war. Wie wir schnell lernten war es wesentlich schwieriger herauszufinden worum es sich handelte, als man hoffen möge. Weder die hilfsbereiten Mitarbeiter des Juister Nationalparkhauses noch unsere zahlreichen Bestimmungsratgeber konnten Rat geben.
Lucinella divaricata, so hübsch sie ist, wird leider viel übersehen - nicht aber, zu unserem Glück, vom Küstenmuseum.


Die weißliche Mondmuschel, oder, nach Schröter 1784 (Einleitung in die Conchylienkenntniss nach Linné), 'die ungleich gestreifte, oder mit auseinanderfahrenden Streifen bezeichnete Telline' ist eine im Durchschnitt 5-10mm große Muschel der Gruppe Lucinidae. Ihre Schalen sind fast kreisrund mit Ausnahme ihrer nach vorn gekrümmten Wirbelspitzen und weisen eine sehr charakteristische Querstreifung auf. Rezente Exemplare sind typischerweise hell und gelblich bis durchsichtig weiß. Genauso erscheinen die meisten Schalen, die Google Images dem interessierten Muschelsammler zeigen wird. An Nordseestränden aufgelesene Exemplare, wie im Sidebar links zu bestaunen, sehen eher anders aus. Sie sind merklich robuster mit einer Farbgebung, die auf einen längeren Aufenthalt auf oder im Meeresgrund hindeutet: meerblau bis schwarz, orangefarben oder braun.
Heutzutage leben Lucinella divaricata in wärmeren Gefilden wie dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer, wo sie fröhlich im Schlick mit der Hilfe von Symbionten chemotrophen Stoffwechsel betreiben, wie sie es schon mehrere Millionen Jahre lang tun. In Nordeuropa findet man sie nur noch als fossile Überreste wärmerer Erdzeitalter.

Ich bin nicht in der Lage, eine eindeutige moderne Quelle zu finden, die ein exaktes erstes Auftauchen Lucinella divaricatas in der fossil record dokumentiert (unter anderem, da es nicht immer leicht ist, von ihren Beschreibern mit anderen Namen bedachte Fossilien einer rezenten Art zuzuordnen). Das Küstenmuseum behauptet, auf Juist gefundene Exemplare stammen aus dem Eem oder Oberpliozän, was ich weder definitiv bestätigen noch widerlegen kann, obwohl es eine bemerkenswert lange Zeitspanne des Nichtvorkommens vorzuschlagen scheint.
Meijer 1993 (Stratigraphical notes on Macoma in the southern part of the North Sea Basin and some remarks on the arrival of Pacific species) benutzt Lucinella divaricata als Indikatorfossil, um Ablagerungen vor der Niederländischen Küste dem Eem zuzuordnen und Funder et al. 2002 (Hydrography and mollusc faunas of the Baltic and the White Sea–North Sea seaway in the Eemian) erwähnen sie als Eemfauna des Wattenmeers, des Großen Belts und der Ostsee. Auch laut Van Regteren Altena 1937 (Bijdrage tot de kennis der fossiele, subfossiele en recente mollusken, die op de nederlandsche stranden aanspoelen, en hunner verspreiding) stammen an den Küsten der Niederlande angespülte Fossilien wahrscheinlich aus dem Oberpliozän oder Eem. Ich vermute, dass das Küstenmuseum ihn zitiert, wobei sie Van Regteren Altena etwas misrepräsentieren. Er scheint nie zu behaupten, dass die Muschel einzig und allein in den spezifischen von ihm erwähnten Gesteinsschichten vorkäme; er zählt ihm bekannte publizierte Erwähnungen in der geologischen Literatur auf, die meistens von der gleichen Handvoll Autoren stammen.

Der dänische Text Danmarks Fauna (Jensen & Spärck 1934) führt die Muschel als in Eemschichten vorkommend auf, während im französischen Raum Andre Magne sie 1939 (Les Lucinacea de la faune girondine) unter die Fossilien des Miozäns des Bassin d’Arcachons zählt.
Dem Red Crag des Vereinigten Königreiches wird Lucinella divaricata auch zugeschrieben - von Jeffreys 1862 (British Conchology), der S. Woods Beobachtungen der Ablagerungen bei Walton zitiert, hier also wahrscheinlich vom späten Pliozän redet, und von Bucquoy, Dautzenberg & Dollfuß 1887 (Les Mollusques Marins du Roussillon). Laut ihnen soll es die Muscheln im Pliozän nicht nur in England gegeben haben, sondern auch in Katalonien und Italien, sowie im Pleistozän Englands, der Niederlande und Süditaliens.
Das International Fossil Shell Museum zeigt ein Exemplar, das aus dem Pliozän der Lombardei stammt. Brambilla 1976 (Molluschi pliocenici di Villalvernia) bildet eine Lucinella divaricata aus dem Pliozän Norditaliens ab und verortet das Erstauftauchen der Spezies im mittleren Miozän. Es fällt mir schwer, die Glaubwürdigkeit einer Quelle zu beurteilen, die in einer Sprache verfasst wurde, die ich überhaupt nicht spreche. Ich kann aber ohne Zweifel sagen, dass dieser vergleichsweise moderne Text die umfassendste Auflistung der fossilen Verbreitung dieser Muschel ist, die ich auftreiben konnte.
Canavari 1919 (Palaeontographia Italica) listet sie als Muschel des mittleren Miozäns Italiens auf, hoffentlich unabhängig und nicht weil er es aus früherer Literatur abgeschrieben hat. Pfeiffer 1869 schlussendlich nennt Lucinella divaricata als "fossil [...] in England, Sizilien, Italien und Madeira" vorkommend und Büyükmeriç et al. 2015 (Middle-late Pleistocene marine molluscs from Izmit Bay area and the nature of Marmara - Black Sea corridors) erwähnt sie als häufiges Fossil des Pleistozäns in der Bucht von Izmit (also in der Türkei).


All das auf einer Karte einzutragen, ist leider nicht sehr erleuchtend. Funder et al. 2002 mögen einen vermuten lassen, Lucinella divaricata wäre im Pleistozän von der Abkühlung der nördlichen Meere aus unseren Breitengraden verdrängt worden und dann während der Eem-Warmzeit für kurze Zeit zurückgekehrt, die fossil record, oder vielmehr die Literatur, die diese dokumentiert, scheint dies aber weder zu widerlegen noch zu belegen. Vielleicht müsste man Geologe sein, und sich die Datierung jeder einzelnen Ablagerung anschauen.


Von Linné wurde unsere Lucinella divaricata zunächst mit dem Namen Tellina divaricata bedacht. Das erste relevante Werk, in dem sie noch unter diesem Originalnamen erwähnt wird, ist Chemnitz' 1782 Neues Systematisches Conchylien-Cabinet. Das Systematische Conchylien-Cabinet ist ein ursprünglich 1769 von Martini begonnenes Werk, welches nach seinem Tod 1778 von diversen Autoren überarbeitet und fortgeführt wurde. Die erste Version enthält noch keine Binominalnamen, doch Chemnitz und alle späteren Mitwirkenden orientierten sich an Linnés System.
1782 besteht Chemnitz' Synonymliste für die ungleich gestreifte, oder mit auseinanderfahrenden Streifen bezeichnete Telline aus Lister, Klein, Bonnani, Petiver, Sloane, Adanson, Dávila, Linné und de Montcervelle. Allesamt (mit der Ausnahme von Linnaeus natürlich) sind diese vor Systema Naturae herausgegebene Werke: man muss sich also in seinem Bestreben zu ermitteln, welche Spezies gemeint waren, rein auf die beigefügten Illustrationen verlassen.

Zusatzinfo: Chemnitz' Quellen

Auf Grund ihres Alters sind nicht alle von Chemnitz zitierten Werke für mich online einsehbar, weshalb ich nicht über alle etwas Gescheites sagen kann.

  1. Lister 1685. Historiæ sive synopsis methodicæ conchyliorum et tabularum anatomicarum.
    Illustriert eine Muschel, die als "Pectunculus parvus, albus, profundior, tenuiter undatus" beschrieben wird. Es mag sich durchaus Lucinella divaricata handeln.
  2. Klein 1793. Tentamen Methodi Ostracologicae sive Disposito Naturalis Cochlidum et Concharum.
    Unauffindbar.
  3. Bonanni 1681. Ricreatione Dell'Occhio E Della Mente.
    Chemnitz scheint in seiner Liste Bonannis Beschreibung wiederzugeben, diese kann ich allerdings in der Quelle nicht finden.
  4. Bonanni 1709. Musaeum Kircherianum, sive, Musæum a P. Athanasio Kirchero in Collegio Romano Societatis Jesu.
    Enthält den im letzten Eintrag abgeschriebenen Text. Bezeichnet die Muschel als aus Brasilien stammend, handelt wohl also eher nicht von Lucinella divaricata.
  5. Petiver 1700/1702. Gazophylacii Naturæ & Artis.
    Ich bin zwar in der Lage das richtige Werk zu verorten, finde aber die Stelle, in der Chemnitz Tellina divaricata erkannte, nicht.
  6. Sloane 1725. A Voyage to the Islands Madera, Barbados, Nieves, St Christophers and Jamaica with the Natural History of the Herbs, and Trees, Four-footed Beasts, Fishes, Birds, Insects, Reptiles &c. of the Last of Those Islands.
    Kopiert Listers Beschreibung und verortet den Lebensraum der Muschel in Südostasien.
  7. Adanson 1757. Histoire naturelle du Sénégal.
    Chemnitz' Zitat Adansons lautet "tab. 17. fig. 10. Le Pirel?". Der moderne Betrachter wird schnell erkennen, dass es sich bei Adansons le Pirel definitiv nicht um Lucinella divaricata handelt.
  8. Dávila 1767. Catalogue Systématique et Raisonné des Curiosités de la Nature et de l'Art.
    Dávila beschreibt die Muschel in etwas mehr Detail als die meisten Einträge auf dieser Liste, und auch er zitiert Lister und spricht von einer Amerikanischen Art.
  9. 2 Editionen Syst. Nat.
  10. D'Argenville 1780. La Conchyliologie, ou, Histoire naturelle des Coquilles de Mer, d'Eau douce, terrestres et fossiles.
    Chemnitz zitiert technisch gesehen Favanne de Montcervelle, dieser ist aber nur Mitautor des gemeinten Werks. Die angegebene Abbildung ist zweifelsohne die einer Mondmuschel, wahrscheinlich allerdings die einer Amerikanischen.

Fast alle von Chemnitz zitierten Werke befassen sich nicht mit der von Linné gemeinten mediterranen Mondmuschel, sondern mit einer oder mehreren exotischen Spezies. Damit geht die fragwürdige Ehre der ersten Identitätsverwechslung im Fall Lucinella divaricata nach meinem besten Wissen und Gewissen an Chemnitz, obwohl er typischerweise nicht für die Popularisierung des Irrtums verantwortlich gemacht wurde. Lamarck (1815-1822 Histoire Naturelle des Animaux sans Vertèbres) macht den gleichen Fehler, und für den Rest des 19ten Jahrhunderts wird ihm dafür in conchyliologischen Werken der schwarze Peter zugeschoben: Man redet von Lucina divaricata L. und Lucina divaricata Lam. (auch Lk.). Im Sinne der Einheitlichkeit werde auch ich mich dieser Konvention fügen.
Allgemein wird angenommen, dass Lucina divaricata sensu Lamarck in Wahrheit Divalinga quadrisulcata ist, eine merklich größere, symmetrischere Muschel, die einen großen Teil des Ozeans um Mittelamerika und die Nordamerikanische Ostküste bewohnt. Da nicht immer eindeutig ist, welche Amerikanische Art ein Autor meint, ist auch die Unterscheidung der Europäischen Art von den 'Transatlantischen' Muscheln notwendig.

1836 wies Philippi (Enumeratio Molluscorum Siciliae cum Viventium tum in Tellure Tertiaria Fossilium) das Feld der Conchyliologie darauf hin, dass Lamarcks Muschel nicht Linnés war. Anstatt den Linné'schen Namen allerdings bei der Europäischen Spezies zu belassen, benannte er sie in Lucina commutata um. Trotz dieser Erkenntnis und der generellen Absicht, Linnés Namen zu bewahren, war es leider weiterhin schwierig zu erraten, welche Muschel ein Autor tatsächlich mit dem Namen Lucina divaricata meinte. Besonders für Fossilien war Lucina divaricata fast als Sammelbegriff für Mondmuscheln in Gebrauch, und das ferne Nordamerika erreichte die Nachricht erst sehr viel später.

Es folgen nun vage chronologisch geordnete Ausführungen über einzelne obsolete Namen, die Lucinella divaricata zugeschrieben wurden:


'Pectunculus parvus' Lister 1685

Originalbeschreibung
Beim allerersten Namen handelt es sich überhaupt nicht um einen richtigen Namen, sondern um ein Missverständnis. Lister, der vor der Erfindung von Linnés System schrieb, hat natürlich keiner seiner Muscheln einen Binominalnamen gegeben, doch der Anfang seiner lateinischen Beschreibung der Muschel, welche Chemnitz zitiert (und darauffolgend viele, die wiederum Chemnitz zitierten), klingt ein wenig wie ein modernerer lateinischer Name. 'Pectunculus parvus' heißt so viel wie 'kleines Kämmchen', und ist eine von Lister sehr oft verwendete Beschreibung. Der Irrtum ist vermutlich Turton 1822 (Conchylia insularum Britannicarum) zuzuschreiben, dessen Synonymliste "Pectunculus parvus Lister tab.301 fig.142" enthält, während Chemnitz noch die gesamte Beschreibung abdruckt. Fleming 1828 (History of British Animals), Gould 1841 (Report on the Invertebrata of Massachusetts), Binney 1863-1864 (Bibliography of American Conchology previous to the Year 1860) und Keep 1889 (Summer Studies in Conchology) schreiben den Fehler wohl von ihm ab. Die große Menge an US-Amerikanern hier mag die Unzugänglichkeit älterer Europäischer Werke widerspiegeln.
Die Beschreibungen allerlei Muscheln beginnen mit 'Pectunculus parvus'; später auch die von Da Costa 1778 (Historia naturalis testaceorum Britanniæ). Was Lister tatsächlich auf Tableau 301 abbilden wollte, vermag ich nicht zu sagen.


Tellina digitaria Poli 1791

Originalbeschreibung
Tellina digitaria ist ohne Zweifel ihre eigene Spezies, heutzutage Digitaria digitaria genannt. Der Name stammt aus Systema Naturae, relevant ist hier allerdings nur was Poli 1791 (Testacea utriusque Siciliae eorumque Historia et Anatome) unter dem Namen Tellina digitaria behandelt. Seine Muschel ist in der Synonymliste der von Pfeiffer überarbeiteten 1869 Edition des Neuen Systematischen Conchylien-Cabinets als Synonym von Lucina divaricata angegeben. Auf dieser Synonymliste basiert wahrscheinlich eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an später publizierten Listen, was 'Tellina digitaria Poli 1791' ein beliebtes Zitat macht.
Ich muss Pfeiffer zustimmen, dass was Poli abbildet eindeutig keine digitaria ist, würde aber nicht darauf schwören ob, es sich um Linnés Spezies oder eine beliebige transatlantische handelt.


Cardium discors Montagu 1803

Originalbeschreibung
Montagus Cardium discors ist zu unterscheiden von der fossilen Art des gleichen Namens (Lamarck 1805) und, laut D'Orbigny 1854 (List of the Shells of South America in the Collection of the British Museum), dem Synonym der Venus dysera. Praktisch alle anderen Nutzer des Namens führen ihn als Synonym ihrer Lucina divaricata oder der heutigen Strigilla pisiformis an. Ich muss annehmen, dass es sich tatsächlich um die letztere handelt, auch wenn Oliver & Morgenroth 2018 leider kein Photo des Typusexemplars veröffentlicht haben.


Cardium arcuatum Montagu 1803

Originalbeschreibung
Montagus Vorstellung dessen, wie eine Herzmuschel auszusehen hat, kann ich mir nicht erklären. Glücklicherweise ist allerdings die Identität seines Cardium arcuatum weniger rätselhaft, denn das Bild seines Typs, wie Oliver & Morgenroth 2018 ihn abbilden, zeigt unzweifelhaft eine Lucinella divaricata. Viele historische Autoren sehen die Ähnlichkeit bereits im 19ten Jahrhundert, obwohl der Name auch von Jeffreys 1862 (British Conchology) als Synonym der Lucina pisiformis und von Weinkauff 1867 (Die Conchylien des Mittelmeeres) als Synonym von Woodia digitalis benutzt wird. In Philippis Originalbeschreibung seiner Lucina commutata führt er Cardium arcuatum in der sehr exklusiven Synonymliste auf.
Clark 1855 (A History of the British marine testaceous Mollusca) gibt Cardium arcuatum einen Platz in seiner Liste fälschlich als Britisch bezeichneter Spezies.


Lucina arcuata Fleming 1828

Originalbeschreibung
Lucina arcuata ist ein interessantes Problem: das einzige Zitat in Flemings Originalbeschreibung von arcuata lautet wörtlich 'Cardium ar. Mont. Test. Brit. 85 t, 3. f. 2. - Falmouth harbour', was eindeutig auf Cardium arcuatum hinweist. Er gleicht die Namensendung hierbei der des Genus an, erwähnt aber nirgendwo, dass er dies getan hat.
Verwendet wird Lucina arcuata hauptsächlich im französischsprachigen Raum, insbesondere als Name für fossile Mondmuscheln. Pfeiffer 1869 (Systematisches Conchylien-Cabinet) zitiert Reeves Conchologia Iconica als Lucina arcuata Mont. für die moderne Lucinella divaricata. Reeve selbst zitiert dabei Montagus Cardium arcuatum als auch Flemings Lucina arcuata. Er ist der Meinung, der Name Lucina divaricata sollte bei der transatlantischen Spezies verbleiben, denn er scheint davon auszugehen, dass Linné, wie Lamarck es tat, mehrere Muscheln unter dem Namen Tellina divaricata vereinigte. Das ist wohl eher unwahrscheinlich; Linné gibt als Lebensraum nur das Mittelmeer an, aber trotzdem erscheint es mir realistisch, wie Pfeiffer Lucina arcuata als Synonym Lucinella divaricatas zu behandeln. Das Reeve arcuata von der "wahren L. divaricata der Westindischen Inseln" (aus dem Englischen übersetzt) abtrennt, scheint mir diese Annahme zu unterstützen.


Strigilla divaricata Turton 1822

Originalbeschreibung
Da Turton angibt, diese Muschel selbst am Teignmouth Beach in Südengland gefunden zu haben, handelt es sich wohl zumindest bei seiner originalen Beschreibung um Lucinella divaricata oder eine ähnliche europäische Art. Er gibt ihr einige Synonyme, die diesen Schluss untermauern, unter ihnen Montagus Cardium arcuatum. In Europa wird der Name schnell als relativ irrelevantes Synonym Lucina divaricatas abgetan, doch in den USA wird er als Synonym der transatlantischen Muschel am Leben gehalten. So benutzen zum Beispiel Gould 1841 (Report on the Invertebrata of Massachusetts), Stimpson 1851 (Shells of New England) und Holmes 1860 (Post-Pleiocene fossils of South-Carolina) den Namen explizit für Lucina divaricata sensu Lamarck. Schrenck 1859-1867 (Reisen und Forschungen im Amur-Lande in den Jahren 1854-1856) und Forbes & Hanley 1853 (A History of British Mollusca and their Shells) nehmen später an, es müsse sich daher um Lucina quadrisulcata handeln.


Lucina strigilla Stimpson 1851

Originalbeschreibung
Stimpson erklärt in seinem Buch, er habe in Forbes & Hanleys Werk gelesen, dass es sich bei Lucina divaricata Lam. nicht um Linnés Spezies handelt. Deshalb hält er es für eine gute Idee, der amerikanischen Variante den Namen des Genus, in das Turton sie steckte, anzuhängen.
Lucina strigilla wird praktisch ausschließlich von anderen US Amerikanischen Autoren verwendet, und allgemein als Synonym von Lucina dentata (Gould 1870, Verril 1871, Tryon 1872) oder Divaricella quadrisulcata (Dall 1901, Letson 1904, Johnson 1915) angesehen.
WoRMS sieht sie als Synonym Divalinga strigillas an, was ich nicht kommentieren kann - allein anhand von Bildern im Internet sehen die drei Arten für mich fast identisch aus.


Lucina dentata Wood 1815

Originalbeschreibung
Woods Lucina dentata ist eindeutig kein Synonym der heutigen Lucinella divaricata, wurde aber häufiger mit Lucina divaricata Lam. verwechselt, vor allem in den USA. Schuld an diesem Irrtum tragen vermutlich Reeve 1851, der sie seiner Lucina divaricata (womit er Lamarcks meint) als Synonym zuschreibt, und Schrenck 1859-1867 (Reisen und Forschungen im Amur-Lande in den Jahren 1854-1856), der Reeve als Quelle angibt, um Lucina dentata Wood als Synonym Lucina quadrisulcatas anzuführen.
Nicht zu verwechseln ist Woods dentata mit der von Defrance 1823 (Dictionnaire des Sciences naturelles). Diese ist laut WoRMS die Originalbeschreibung der fossilen Microloripes dentatus.


Loripes divaricatus Scacchi 1835

Originalbeschreibung
Scacchi 1835 (Notizie intorno alle Conchiglie ed a' zoofiti Fossili che si trovano nelle Vicinanze di Gravina in Puglia) gibt seiner Loripes divaricatus sowohl Lucina divaricata L. als auch Lucina divaricata Lam. als Synonym; praktisch alle Autoren, die den Namen nach ihm aufführen, benutzen ihn allerdings als Synonym für Linnés Muschel. Philippi 1836 höchstpersönlich verwendet Loripes divaricatus in seiner Beschreibung Lucina commutatas. Wenn man außerdem bedenkt, dass es sich in Scacchis Werk um Europäische Fossilfunde dreht, erscheint es eindeutig, dass seine Loripes divaricatus ein Synonym der Lucinella divaricata ist.


Lucina commutata Philippi 1836

Originalbeschreibung
Philippis commutata ist eines der sowohl eindeutigsten und meist verwendeten Synonyme von Lucina divaricata sensu Linné. Hier eine kurze Auswahl an Autoren, die dem Trend entgegen gingen.
Deshayes 1860 (Description des Animaux sans Vertèbres découverts dans le Bassin de Paris) behandelt Nysts (1843: Description of the Coquilles et des Polypiers fossiles des Terrains tertiaires de la Belgique) Lucina commutata als Synonym der Lucina undulata Lamarcks, während Sandberger 1863 (Die Conchylien des Mainzer Tertiärbeckens) Brauns (? vermutlich 1851: Darstellung der geognostischen Verhältnisse des Mainzer Beckens und seiner fossilen Fauna und Flora) Lucina commutata ebenso als Synonym von Lamarcks Lucina undulata bezeichnet.
Canefri 1869 (Indice systematico dei Molluschi Testacei dei dintorni di Spezia e del suo Golfo) wiederum scheint Philippis commutata für ausgestorben zu halten.
Arango 1878 (Contribucion a la Fauna malacologica Cubana) benutzt Philippis commutata und Chemnitz' Tellina divaricata als Synonyme Lucina quadrisulcatas, womit er in Dalls (1881, 1901) Synonymliste für quadrisulcata landet. Vogdes 1896 (A bibliography relating to the Geology, Palaeontology, and mineral Resources of California) scheint ein ähnliches Bild im Kopf zu haben, denn er behauptet, commutata als Eozänfossil aus Kalifornien zu kennen.
Commutata ist das einzige Synonym, welches Nordsieck 1969 (Die Europäischen Meeresmuscheln) seiner Lucinella divaricata gibt.


Lucina undularia Wood ????

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Lucina undularia Wood ist mehr eine Idee als ein Name - in der mir zugänglichen Literatur erscheint sie zuerst in der 1837er Ausgabe des Systematischen Conchylien-Cabinets, überarbeitet von Herrn Küster. Er nennt sie als einziges fossiles Synonym Lucina divaricatas L., was von vielen abgeschrieben wurde (siehe Weinkauff 1867, Pfeiffer 1869). Es scheint mir, das Originalzitat Küsters beziehe sich auf ein nicht publiziertes Manuskript; Lucina undularia wird aber mehrmals (fälschlich) als aus Woods Catalogue (1842) stammend angegeben.
Wood 1848-82 (A Monograph of the Crag Mollusca) zitiert Loripes undularia als Synonym Loripes divaricatus'. Diese soll er 1840 in seinem Catalogue schon einmal behandelt haben, doch diese Quelle scheint mir nicht zu existieren, oder wenn es sich um diese handelt, so enthält sie keinerlei Erwähnung einer solchen Muschel.
Da nur Chemnitz hier also eine unabhängige Quelle ist und dieser Tellina divaricata Lamarck verwendet, kann ich keine Vermutungen über die Identität Lucina undularias anstellen.


Lucina trifaria Krynicki 1837

Originalbeschreibung
Krynickis 'Originalbeschreibung' ist nur eine nackte Liste, der Name wird aber in der Literatur ausschließlich für die heutige Lucinella divaricata verwendet (Middendorf 1847, Philippi 1851, Lamy 1921).


Lucina pulchella Agassiz 1845

Originalbeschreibung
Agassiz schlägt Lucina pulchella 1845 als Namen für Deshayes fossile 'Lucina divaricata' aus dem Pariser Raum vor. Vermutlich tut er das in dem Wissen, dass Lamarck 1818 (Histoire naturelle des Animaux sans Vertèbres) den Namen Tellina pulchella bereits benutzt hatte, eine Beschreibung, die heute als Originalbeschreibung der Tellmuschel Moerella pulchella angesehen wird. Diese ist tatsächlich eher schwierig mit einer Mondmuschel zu verwechseln.
Oppenheim 1900 (Die stratigraphischen Verhältnisse der venitianischen Oligocänbildungen) behandelt Fuchs' Lucina pulchella als Synonym von Agassiz' Lucina ornata, und Lynge 1909 (The Danish expedition to Siam 1899-1900) eine weitere pulchella in die Welt setzt: die Thailändische Lucina (Phacoides) pulchella.
Weitere Verwechslungsgefahr besteht mit Lucina pulchella C. B. Adams 1846 (Specierum Novarum Conchyliorum, In Jamaica Repertorum). Diese wird von allen, die sie zitieren, als Synonym der Strigilla pisiformis behandelt.


Lucina ornata Agassiz 1845

Originalbeschreibung
Agassiz schlägt Lucina ornata 1845 als Namen für Basterots fossile 'Lucina divaricata' aus Bordeaux vor. Der Name wird tatsächlich für Fossilien genutzt (im Gegensatz zu Lucina pulchella Agassiz); zum Beispiel aus Wien (Hörnes 1864), Saucats (Benoist 1873) und der Steiermark (Hilber 1878). Bucquoi, Dautzenberg und Dollfus (1887: Les Mollusques marins du Roussillon) behandeln sie als fossiles Synonym Lucina divaricatas und behaupten, es gäbe sie auch aus dem Gestein Italiens, Russlands und sogar der Azoren.
Spätere Literatur sieht Lucina ornata als Synonym oder Form Lucina divaricatas L. an, weshalb auch ich sie ihr getrost untergeordnet hätte, würde WoRMS nicht als zusätzliche Quelle Lesport et al. 2019 anführen, welche die Muschel als Divalinga ornata identifizieren.


Lucina ornata Reeve 1850

Originalbeschreibung
Bei Reeves Lucina ornata handelt es sich um eine rezente Art, die im Gegensatz zu der Illustration, die er Lucina divaricata nennt, Lucinella divaricata L. wesentlich ähnlicher ist. Von vielen historischen Autoren wird sie als Synonym Martens' Lucina angulifera (= Divaricella ornatissima) behandelt, WoRMS gibt sie allerdings als ungültigen Namen der Divaricella chavani an, die 2006 von Rudo von Cosel spezifisch auf der Basis von Reeves Lucina ornata aufgestellt wurde.


Lucina ornata C. B. Adams 1852

Originalbeschreibung
1852 behauptet Adams, er habe diese Spezies bereits 1847 in einem Vortrag vorgestellt. Das würde natürlich bedeuten, dass sein Name älter wäre als Reeves, aber freundlichst ist er willig ihn Reeve zu überlassen.
C. B. Adams selbst benutzt Lucina ornata Adams als Synonym von Reeves antillarum, während Lamy 1921 (Revision des Lucinacea vivant du Museum d'Histoire Naturelle de Paris) sie für D'Orbignys Codakia (Jagonia) costata hält. Diese ist heute unter dem Namen Clathrolucina costata akzeptiert, welche zwar in ihrer Form nicht unbedingt mit Reeves Lucina antillarum (Platte X Nr. 37) übereinstimmt, aber immerhin ihre deutliche Streifung teilt.


Lucina serrata D'Orbigny 1846

Originalbeschreibung
D'Orbigny 1846 (Voyage dans l'Amérique méridionale) teilt das Sammeltaxon Lucina divaricata in 5 lebende Spezies auf, darunter Lucina serrata, die er den Antillen zuschreibt. Erst 1853 (Physique, Politique et Naturelle de L'Ile de Cuba) weist er der Art aber mehr als ihre geographische Ausbreitung zu - WoRMS gibt vermutlich deshalb 1853 an.
Schon 1851 erklärt Philippi (Abbildungen und Beschreibungen neuer oder wenig gekannter Conchylien) serrata zu einer der Arten, die Lucina divaricata Lam. ausmachen. Diese Meinung wird aber nicht von vielen geteilt, denn schnell entwickelt sich der Konsens, dass es sich in Wahrheit um Lucina dentata handelt (Tryon 1872, Dall 1881, Lamy 1921). Diese Meinung wird heute von WoRMS geteilt.


Lucina serrata Sowerby 1850

Originalbeschreibung
Eine weitere Lucina serrata wird 1850 von Sowerby (Dixon: The Geology and Fossils of the Tertiary and Cretaceous Formations of Sussex) ins Leben gerufen. Er sagt "Die Lucina serrata in 'Mineral Conchology' ist von der französischen Spezies verschieden" (aus dem Englischen übersetzt). Mineral Conchology ist Sowerbys wahrscheinlich bekanntestes Werk (zumindest im mittleren 19ten Jahrhundert), ich kann darin aber in keiner Ausgabe eine Lucina serrata finden. Auch die einzige moderne Erwähnung von Lucina serrata Sowerby, die ich im Internet ausgraben konnte, IRMNG, gibt statt einer theoretischen vorherigen Originalbeschreibung in Mineral Conchology 1850 an. Ihr Eintrag scheint auf einem Exemplar der Museum Victoria KEmu Database zu basieren, deren Seite leider kein Photo der Muschel hat. Da sie allerdings als aus dem Eozän Englands stammend angegeben ist, sagt Sowerby wohl zurecht, dass man sie von der vom Franzosen D'Orbigny beschriebenen rezenten Spezies unterscheiden muss.


Lucina eburnea Reeve 1850

Originalbeschreibung
Nicht zu verwechseln mit Lucina eburnea Deshayes & Andrzejowski 1835, einem Nomen Nudum, Venus eburnea Gmelin 1790 oder Venus eburnea Reeve 1863.
WoRMS, mit Verweis auf Taylor & Glover 2021, behandeln Lucina eburnea Reeve als Synonym Divalinga eburneas. Vielleicht wegen der relativen Vagheit von Reeves Illustration scheint es keinen wirklichen historischen Konsens zu geben. So schlägt Carpenter 1857 (Catalogue of the Collection of Mazatlan Shells in the British Museum) sie als Synonym von Philippis Tellina lenticulata vor, während Pfeiffer 1869 und Sowerby 1892 (Marine Shells of South Africa) sie mit Lucina quadrisulcata gleichsetzen. Tryon 1872 (Catalogue and Synonymy of the recent Species of the Lucinidae) wiederum, sowie Keep 1889, halten sie für Lucina dentata.
Dall & Ochsner 1928 (Tertiary and Pleistocene Mollusca from the Galapagos Islands) basieren auf Lucina eburnea Reeve ihre neue Spezies, Divaricella Lucasana, und Lamy tut es ihnen 1934 (Coquilles marines recueillies par M. E. Aubert de la Rüe dans l'Amérique du Sud) gleich: seine Spezies heißt Divaricella columbiensis. Diese überflüssigen Namen führt WoRMS heute beide als Synonyme Divalinga eburneas auf.


'Egraca' divaricata Leach 1852

Originalbeschreibung
Lamy 1921 zitiert 'Egraca divaricata Leach 1852' als Synonym Divaricella divaricatas. Er übertreibt dabei wirklich, denn Leach 1852 (Molluscorum Britanniæ Synopsis) erwähnt gerade einmal unter seinem Abschnitt über Bruguières Genus Lucina, dass er selbst gedachte, die gleiche Gruppe von Linnés Tellina abzuspalten, aber unter dem Namen Egraca. Er gab dies auf, nachdem er Lamarcks neue Werke las, und kombiniert selbst 'Egraca divaricata' nie.


Cyclas divaricatus Stoliczka ????

Lamy 1921
Ein weiteres etwas merkwürdiges Zitat Lamys ist 'Cyclas divaricatus Stoliczka 1870'. Ich bin nur in der Lage Soliczka 1871 (Cretaceous Fauna of Southern India) zu finden, was zwar Cyclas verwendet, aber nie für Lucinella divaricata, geschweige denn den Namen 'Cyclas divaricatus'. Es wäre auch überraschend, wenn Stoliczka Lucinella divaricata meinte, da er nur über Indische Fauna und Flora schrieb.


Lucina pellucida Blainville 1824

Originalbeschreibung
Lucina pellucida wird von Monterosato 1875 (Nuovo Rivista delle Conchiglie Mediterranee) als Synonym Lucina commutatas, und von Lamy 1921 als Synonym Divaricella divaricatas L. angesehen, was durch aus plausibel ist. Caruana 1867 (Enumeratio ordinata Molluscorum Gaulo-Melitensium of the late Mr. Giuseppe Mamo) berichtet von ihrem Fossilvorkommen auf Malta.
Die Art hat bisher nicht die Ehre eines WoRMS Artikels erhalten, möglicherweise, weil sie so oft fälschlich Caruana zugeschrieben wird. Seine Liste erscheint mir aber weniger wie eine beschreibungslose Erstbeschreibung, sondern als zitatlose Verwendung eines existenten Namens.


var. elata Bucquoy, Dautzenberg & Dollfus 1889

Originalbeschreibung
Bucquoy, Dautzenberg und Dollfus benutzen var. elata für ihre Divaricella divaricata L., weshalb es mir unwahrscheinlich scheint, dass es sich um eine ganz andere Art handelt. Auch Lamy 1921 und Nordsieck 1969 zitieren sie, ohne ihre Zugehörigkeit abzuändern.


var. rotundoparva Sacco 1901

Originalbeschreibung
Die Varietät rotundoparva scheint mir von Sacco 1901 (I molluschi dei terreni terziarii del Piemonte e della Liguria) zu stammen, dessen Synonymliste eher auf Lucina divaricata Lam. als unsere Lucinella divaricata hindeutet. Cossmann 1909 (Conchologie néogénique de l'Aquitaine) sieht die Varietät allerdings als Lucina divaricata L. an, und Magne 1939 (Procès-verbaux) führt sie als Bewohner des französischen Miozäns auf. Ich vermute, es handelt sich um eine Europäische Mondmuschel, aber ob Sacco Lucinella divaricata oder eine beliebige andere fossile Spezies beschreibt, vermag ich nicht zu sagen.