Juist April/Mai 2024
15.05.2024
Da Informationen über die wirbellosen Teile der Ökosysteme des Niedersächsischen Wattenmeers schwierig bis unmöglich zu finden sind, möchte ich hier nach jedem Nordseeurlaub meine aktuellen Beobachtungen festhalten.
Marines Getier
Weiterhin wirft das Meer reichliche Ottermuschelfragmente an den Strand - Lutraria lutraria Funde sind nun wohl permanent ein reguläres Ereignis. Erstaunlich selten hingegen waren die nur fossil angeschwemmten Mimachlamys varia. Dies mag allerdings an der Jahreszeit und damit an der Strömungslage liegen und nicht daran, dass die Fossilgründe erschöpft sind. Nach heftigem Ostwind am 22. April war der Hauptstrand übersäht mit toten aber noch zusammenhängenden Strahlenkörbchen (vermutlich erfroren?), Schulpen, Wellhornschnecken sowie ihren Eiballen und hohlen Herzigeln. Diogenes Einsiedlerkrebse haben wir (vielleicht zum ersten Mal) gar keine gesehen, dafür 2 mittelgroße Pagurus bernhardus.
Der Muschelbruch/Schill war enttäuschend arm an Lucinella divaricata, offenbarte dafür aber unsere dritte Parvicardium exiguum und 2 kleine angebrochene Nussmuscheln. Mich beschlich außerdem der Verdacht, dass die letzten ca. 10 Jahre tatsächlich eine verringerte Anzahl an Roten Bohnen gebracht haben - ein auffällig großer Anteil des Muschelbruchs bestand aus potenziell fossilen M. balthica, und rezent aussehende waren selten. Ich würde allerdings zugegeben nicht darauf schwören, denn ich vermute doch, dass meine Wahrnehmung hier von Nostalgie getrübt sein mag.
Im Watt am Hafen fand meine Mutter eine einzelne Schale, die verdächtig nach der Amerikanischen Trogmuschel Mulinia lateralis aussieht. Der Beachexplorer gab bereits vor einiger Zeit einen Suchaufruf über sie heraus, und seitdem wurden 2 Meldungen von Juist hochgeladen.
In meiner Beobachtung der Beachexplorer Frontpage scheint dieses Jahr eine ungewöhnlich große Menge an toten Seepferdchen in der Nordsee anzuspülen; auch auf Juist, obwohl wir persönlich keines gesehen haben.
Landlebendes
Die Juister Vogelwelt ist vermutlich saisonal veränderlicher, als die Welt der Weich- und Schalentiere, ich bin aber kein Experte. Hier also eine relativ unkommentierte Aufzählung:
Heringsmöwen scheinen in letzter Zeit die Silbermöwen praktisch zu ersetzen, so wie auch Stadttauben verschwunden sind und es jetzt von Ringeltauben wimmelt. Türkentauben habe ich dieses Jahr nur 4 gesehen. Gänse traten in Fülle auf, Grau-, Nonnen- und Ringelgänse.
Ruditapes philippinarum
Sobald ich dazu komme, wird die Art ihren eigenen Artikel erhalten, denn es ist unbestreitbar, dass Ruditapes philippinarum sich im Juister Watt etabliert hat. Meine Mutter wühlte im Oktober 2023 noch stundenlang mühevoll im Watt am Hafen herum und fand ganze zwei mickrige Teppichmüschelchen. Dieses Jahr brachte sie nach etwa einer Stunde fast 38 erwachsene Exemplare mit. Der Trend in der Größe ist auch bei auf der Strandseite gesammelten Muscheln nicht zu ignorieren.
Das (potenzielle) Problem ist zwar bekannt, hat aber bisher leider wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit genossen. So kann man nur spekulieren, was die erhebliche Zunahme der Manila Teppichmuschel für Effekte auf lokale Ökosysteme haben wird. Immerhin scheinen Austernfischer sie zu fressen.
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Als jemand, der sich vornehmlich mit toten Muscheln befasst, gilt meine Meinung hier nicht allzu viel, ich würde aber erwarten, dass R. philippinarum weniger mit der hier einheimischen Teppichmuschel Venerupis corrugata konkurriert, als sie es im Mittelmeer mit der dort vorherrschenden Ruditapes decussata tut. Venerupis corrugata scheint mir eher ein seltener Bewohner des Juister Watts (wenn sie überhaupt einer ist) und hat im Übrigen Ausweichmöglichkeiten: in älterer Literatur wird häufig unterschieden zwischen V. corrugata, die in weichem Substrat und V. corrugata, die in den Ritzen zwischen Steinen leben. Eher scheint mir, R. philippinarum macht sich im Gebiet der Herzmuscheln und Roten Bohnen breit: Wiese & Janke 2021 (Die Meeresschnecken und -muscheln Deutschlands) geben noch kein genaues Habitat für die Manila Teppichmuschel an; sie sagen nur es gäbe sie "in der Gezeitenzone bis in wenige Meter Tiefe". Laut ihnen leben Cerastoderma edule in der Deutschen Nordsee in bis etwa 10m, und Macoma balthica bis 35m Tiefe.
Erste Funde in der Region wurden in einem Artikel des Nationalparks Wattenmeer schon 2023 berichtet, welcher von einer Vielzahl an Publikationen abgeschrieben wurde und immer noch wird.
Die meisten in die Nordsee eingeführten fremden Arten, die sich etablieren, richten keine größeren Schäden an, weshalb ich 2023 noch erwartete, Ruditapes philippinarum würde sich wahrscheinlich brav einreihen und zwar zum regulären Fund werden, aber nicht zum Problem. Mit dem rasanten Populationsanstieg und der schieren Dichte, die wir im Juister Watt in April 2024 beobachten mussten, bin ich jetzt weniger gelassen über die ökologische Rolle dieses Newcomers.
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